Wenn das Leben aus den Fugen gerät

Schon seit vielen Jahren hatte ich Schlafstörungen, doch nach einem Umzug vor einigen Jahren wurden sie massiv schlimmer...

...so, dass ich in den meisten Nächten nur noch 3 Stunden schlief. Bei so wenig Schlaf ist man schon nach kurzer Zeit ziemlich am Ende mit seinen Kräften. Ich war bei verschiedenen Ärzten und einer Psychologin, doch niemand fand heraus, was mit mir los war. Ich selber konnte es mir auch nicht erklären, denn ich hatte keinen Schicksalsschlag erlebt und war laut Schulmedizin gesund. So war es für mich auch nicht ganz leicht, meinen Mitmenschen diesen Zustand zu erklären, denn ich hatte keine Ahnung, warum ich in dieser schlechten Verfassung war.

Mein Zustand verschlechterte sich immer weiter. Abgesehen vom Schlafmangel fühlte sich mein Nervensystem immer überreizter an und ich war innerlich so unruhig, dass ich es kaum noch aushielt. Es war ein schwer zu beschreibendes Gefühl, schlimmer als schlimmstes Lampenfieber – und dieses Gefühl war mein ständiger Begleiter, wenn ich wach war: also fast immer. Ich hatte kaum noch Kraft für irgendetwas und stand aber gleichzeitig total unter Strom. Es war ein Horror, wie man ihn sich nicht vorstellen kann. Immer häufiger litt ich unter Infekten und starkem Schwindel. Auch mein gutes Gedächtnis, auf das ich immer stolz war, wurde immer schlechter. Ich hatte Angst, es zu verlieren. Zudem konnte ich mich kaum noch konzentrieren. Ich fühlte mich dumm (ja, Schlaflosigkeit macht dumm), unsicher und meinen Humor hatte ich auch verloren. In meiner freien Zeit weinte ich fast nur noch.

Irgendwann fing ich an, eine Art Tagebuch zu schreiben, in der Hoffnung, dass mich das erleichtern würde, was manchmal auch gelang. Ich schrieb alles auf, was mir durch den Kopf ging. Da kommt eine ganze Menge dunkles Zeug hoch, wenn man unter so schlimmen Schlafstörungen leidet. Es ist, als käme es aus den hintersten, verborgensten Ecken hervorgekrochen. Dinge, bei denen ich mich früher nicht mal getraut hätte, sie zu denken, kamen jetzt aufs Papier. Ich nannte das ‚auf Papier kotzen‘, denn genau so fühlte es sich an.

Mit der Zeit hatte ich den Eindruck, innerlich zu verenden. Es war, als würde ich zuschauen, wie ich ganz langsam und qualvoll sterbe. So etwas möchte man nicht erleben. Trotz alldem gab es auch Momente, in denen ich mir sicher war, dass alles wieder gut wird….

Der Satz ‚Immer wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her‘ ging mir immer wieder durch den Kopf, auch wenn ich ihn oft lächerlich fand. In meinem desolaten Zustand fiel es mir richtig schwer, auch nur ansatzweise positiv zu bleiben. Da ich von Anfang an auf allen möglichen Ebenen Unterstützung gesucht und auch selber immer wieder recherchiert hatte, eröffneten sich mir jedoch auch immer mal wieder neue Wege. Das gab mir jeweils neue Hoffnung. Wenn man so schlimm dran ist, dann würde man sein letztes Hemd dafür geben, um einfach mal wieder richtig zu schlafen und sich erholen zu können. So probierte ich alles Mögliche aus, denn ich hatte nichts mehr zu verlieren – ja, im Grunde konnte ich nur gewinnen.

Ich entschied mich für eine berufliche Auszeit, um mich von meiner tiefen Erschöpfung zu erholen und wieder gesund zu werden. Für mich war es im Nachhinein gesehen das Beste, was ich tun konnte. So hatte ich endlich Zeit, über das Leben nachzudenken. Das war wichtig, denn ich hatte mich verändert. Nach all den Jahren, in denen ich gesundheitlich so gelitten hatte, war ich nicht mehr die gleiche Person wie vorher. Einmal durch die Hölle und zurück – so war das nicht. Es gab kein Zurück mehr. Es war, als ob ich durch einen sehr langen Tunnel gegangen und an einem ganz anderen Ort wieder herausgekommen wäre.

Ich spürte, dass vieles für mich einfach nicht mehr funktioniert. Es ist nicht mehr möglich, mich zu übergehen und Dinge zu tun, die ich im Grunde gar nicht möchte. Mein Körper sendet sofort starke Signale aus und ich weiss, dass es wichtig ist, darauf zu hören, auch wenn ich damit bei meinen Mitmenschen manchmal anecke und auf Unverständnis stosse, was nicht immer einfach auszuhalten ist. Doch meine Gesundheit ist mein höchstes Gut. So eine Geschichte wie ich sie hinter mir habe möchte man kein zweites Mal erleben.

In meiner Auszeit ging es mir schnell besser. Schlafen war zwar immer noch schwierig, aber ich wusste, dass es Geduld braucht, bis sich alles wieder einpendelt. Etwa nach einem Jahr fühlte ich mich wieder wie ein normaler Mensch und von da an wurde es stetig noch besser. Heute bin ich gesünder und fitter als ich es mit zwanzig war. Mein altes Leben ist aus den Fugen geraten und das ist passiert, damit ein neues, besseres Leben, in dem ich mehr ich selber bin und meinen ganz eigenen Weg gehe, entstehen konnte. Dafür bin ich heute sehr dankbar, auch wenn ich es lange Zeit nicht für möglich gehalten hätte, dass ich das einmal sagen würde.

Martina Pfister
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